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berlin - lichtenberg

ehemalige AGFA-Fabrik

ehem. AGFA Fabrikgebäude
Hauptstr. 11 - 12
10317 Berlin - Lichtenberg Rummelsburg
Zugang über Gustav-Holzmann-Straße 3 !

Kartenausschnitt

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmitteln

Tram 21, Gustav- Holzmann-Straße.

Fuß- und Fahrradweg

Ein schöner Spaziergang (und auch als Fahrradstrecke empfohlen) führt vom Paul-und-Paula-Ufer aus an der Rummelsburger Bucht entlang, an den ehem. Knabenhäusern vorbei, weiter bis nach der Bootswerft, vor der Boulderhalle, links in die Gusatv-Holzmann-Straße.


zur Geschichte der AGFA-Werke Rummelsburg

Über die Geschichte der ehemaligen AGFA Fabrik, bzw. Aceta, wo einst das Perlon erfunden und zu DDR-Zeiten als Dederon weiter produziert wurde, vor allem über die NS-Zeit, findet sich ein lesenswerter Abschnitt in "Rummelsburg mit der Victoriastadt", von Christine Steer

:

I.G. Farben AG Aceta

[…] Die Ära einer der ältesten Industrien von Rummelsburg begann an diesem Ort mit der Gründung der Gesellschaft für Anilin-Fabrikation 1867 durch Carl Alexander Martius und den Chemiker Paul Mendelssohn Bartholdy (1812-1874), den Bruder des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy und Enkel des Philosophen Moses Mendelssohn.
Nach dem Tod Paul Mendelssohn Bartholdys führte sein Neffe Franz Oppenheim die Firma weiter und brachte sie zur Weltgeltung, ab 1897 unter dem Warenzeichen »Agfa«. 1925 ging die Agfa in die I.G. Farben AG, Berlin, als Aceta GmbH auf, eine Tochter des neu gegründeten Konzerns. Für die Herstellung von Acetat-Kunstseide, später des hochelastischen Perlons, das reißfester als Naturseide war, wurden die Anlagen erweitert. Während bei Aceta längst die jüdischen Aufsichtsratsmitglieder abgelöst und die I.G. Farben AG ein verlässlicher Partner des NS-Regimes und seiner militärischen Aufrüstung geworden war, erfand im Jahre 1938 der Chemiker Paul Schlack (1897-1987) in dem Rummelsburger Betrieb das berühmte Perlon.
Diese Erfindung nimmt heute breiten Raum in der Darstellung des Aceta-Werkes ein, oftmals ohne überhaupt die zu jener Zeit vorherrschende Produktion zu hinterfragen. Perlon wurde zunächst für militärische Zwecke genutzt und gelangte durch Zwangsarbeit zum Einsatz. Dafür forderte das Unternehmen bei Kriegsbeginn jüdische und ausländische Zwangsarbeiter an und nahm bei ihrer rücksichtslosen Ausbeutung bekanntermaßen eine vordere Position ein. Wegen der andauernden Luftangriffe auf Berlin sollte die eigentliche Großproduktion vorrangig in Landsberg an der Warthe, heute Gorzow Wielkopolski (Polen), erfolgen. Dort wurden ab 1942 Produktionsanlagen gebaut, neben Baracken für etwa 2000 Zwangsarbeiter, die wegen des schnellen Vormarsches der Roten Armee aber nicht mehr in Betrieb genommen wurden.
Seit Anfang der vierziger Jahre arbeiteten bei Aceta in Rummelsburg etwa 1500 Arbeiter und Angestellte. Unter ihnen befanden sich viele jüdische Beschäftigte, vornehmlich Frauen, die zur Arbeit zwangsverpflichtet worden waren. In dem Buch »Ich trug den gelben Stern« beschreibt die deutsch-israelische journalistin und Autorin Inge Deutschkron die harte und mühselige Arbeit. Gängig waren stundenlanges Stehen an den Maschinen mit den rotierenden Spindeln, die völlige Isolierung von den anderen deutschen Beschäftigten und die Kennzeichnung mit einem »Judenstern«. Auch Inge Deutschkron war Schikanen ausgesetzt, als sie hier 1941 Zwangsarbeit verrichten musste. Ab Januar 1943 lebte sie illegal in Berlin und versteckte sich mit ihrer Mutter bei nicht jüdischen Freunden, beide konnten so dem Holocaust entgehen.
Der Forschungsabteilung bei Aceta dürfte, bei allen Verdiensten um Perlon, nicht entgangen sein, was sich am 27. Februar 1943 während der sogenannten Fabrikaktion der SS quasi unter ihren Fenstern in Rummelsburg abspielte, wie zugleich in anderen Betrieben auch. Im Hof wurden alle jüdischen Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter zusammengetrieben, auf Lastwagen geladen und in Sammellager abtransportiert. So begann ihr Weg in die Todeslager, in denen wahrscheinlich die meisten von ihnen durch das von der Tochterfirma der I.G. Farben Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung zum Massenmord in den Gaskammern hergestellte Zyklon B umgekommen sind. Das Unrecht bei Aceta hörte damit nicht auf. Es betraf Hunderte Frauen und Männer aus Polen, Russland, der Ukraine ebenso wie aus Dänemark, Frankreich, Holland und Italien, die dem Unternehmen zur Zwangsarbeit ausgeliefert waren. Von außen konnte man manches durchaus ahnen, an einem Ort, an dem direkt neben dem Werk am Seeweg dicht nebeneinander überfüllte und streng bewachte Baracken für ihre Unterbringung standen. 1948 wurden vom Militärgerichtshof in Nürnberg 13 Manager der I.G. Farben wegen »Versklavung und Tötung von Zivilisten, Kriegsgefangenen und KZ-Insassen« zu Haftstrafen verurteilt und für den Konzern 1950 die Entflechtung angeordnet.
Der im Krieg teilweise ausgebombte Betrieb Aceta wurde 1945 unter sowjetische Verwaltung gestellt und die noch erhaltenen Produktionsanlagen vollständig demontiert. Zwischenzeitlich befanden sich auf dem Gelände verschiedene kleinere Betriebe wie Felix Böttcher Druckwalzen KG, Wilhelm Didzuhn Gummiersatzteile für Kfz und die Regena-Gummiwarenfabrik. Alle drei standen unter Treuhandverwaltung. Vereinigt zum VEB Druckwalzen und Gummiwaren, gingen sie später in den VEB Teforma des Gummiwarenkombinats Berlin auf.
Ab 1951 produzierte man wieder, als VEB Kunststoffwerk Aceta, das unter anderem Nähseide, Schnürsenkel, Haarhauben und Schläuche aus Perlon herstellte. Das Recht auf Nutzung des Markennamens Aceta ging 1960 verloren in einem in Frankreich geführten Prozess gegen den LG.-Farben-Nachfolger Farbenfabriken Bayer A.G., Leverkusen. Die neue Produktbezeichnung lief jetzt unter Dederon, einem Wortgefüge aus »DDR« und der Endung »on«. Ab 1963 führte der Betrieb den langen Namen VEB Kunststoffwerk Aceta Groß-Berlin, Kunststoff- und Photo-Werke, bis er sechs Jahre später der Filmfabrik Wolfen zugeordnet wurde. Damit endete Aceta in Rummelsburg. Die Werkhallen verfielen, einzelne sind nach 1990 wegen ihres schlechten Zustandes abgerissen worden.

aus:
Christine Steer:
Rummelsburg mit der Victoriastadt: Herausgegeben vom Museum Lichtenberg im Stadthaus
168 Seiten, berlin edition im be.bra verlag; 2010

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